Quarantäne in der Coronakrise – pro und contra

24.03.2020

Quasi aus heiterem Himmel ist die wohlstandsverwöhnte westliche Welt nun mit einer Herausforderung konfrontiert, die es in dieser Dimension seit Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr zu bewältigen gab und auch mit viel Geld nicht so leicht gemeistert werden kann.
Während in den vergangenen Jahrzehnten der Mensch die Evolution und davon insbesonders die Selektion zunehmend selbst in die Hand genommen hat, bleibt scheinbar als Schutz vor dem Covid-19-Erreger nur noch die Quarantäne, um die „natürliche“ Selektion abzuwenden.
Welche Konsequenzen dies für uns und unser Leben hat, soll anhand der folgenden drei Szenarien am Beispiel Österreichs verdeutlicht werden.
Ausgegangen wird dabei davon, dass es nicht gleichzeitig in allen Ländern der Welt gelingen wird durch rigorose Quarantänemaßnahmen nach chinesischem Muster das Covid-19-Virus zum Verschwinden zu bringen. Daher müssen in einer nicht vollkommen immunen Bevölkerung stets gewisse Einschränkungen hinsichtlich Mobilität und Sozialkontakten permanent aufrecht bleiben. Erst wenn als Folge einer Schutzimpfung Herdenimmunität erreicht wird bzw. wirkungsvolle Therapeutika zur Verfügung stehen, ist eine Rückkehr zur Normalität möglich. Von Experten wird jedoch für die Entwicklung eine Impfung mindestens ein Jahr und für wirkungsvolle, nebenwirkungsarme Medikamente zumindest mehrere Monate als Zeithorizont genannt.
Strikte Quarantäne: Als Vorbild sollen die von China für die betroffene Provinz Hubei gewählten Quarantänemaßnahmen dienen. Dazu zählen eine komplette Abriegelung, Verbot von Individual- und öffentlichem Verkehr, verpflichtende Körpertemperaturmessungen an vielen öffentlichen Orten, die vollständige elektronische Überwachung jeder einzelnen Person und vor allem das Schließen aller nicht zwingend nötigen Betriebe. Auf verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte oder Datenschutz wird keinerlei Rücksicht genommen. Mit diesem rigorosen Maßnahmenbündel lässt sich die effektive Reproduktionszahl binnen weniger Wochen deutlich unter 1 senken und das Virus verschwindet vollständig.
50% Quarantäne: Die Durchsetzung der Quarantäne hängt in westlichen Demokratien nicht zuletzt auch von der Einsicht jedes Einzelnen ab[1]. Mittels moderater polizeilicher Kontrollmaßnahmen wird versucht Quarantänebrecher abzuschrecken. Infizierte werden gelegentlich in der Heimquarantäne elektronisch überwacht. Gewisse Betriebe und Geschäfte sind geschlossen, jedoch gehen noch mehr als 50% der Bevölkerung ihrer regulären Arbeit nach. Die effektive Reproduktionszahl sinkt zwar, jedoch nicht dauerhaft unter 1.
Keine Quarantäne: Ein Verzicht auf jegliche Quarantänemaßnahmen ist zwangsläufig mit vielen, in kurzer Zeit auftretenden Todesopfern verbunden. Daher wird ein solches Vorgehen von der Bevölkerung als auch von anderen Staaten als verantwortungslos eingestuft und ist somit politisch weder umsetzbar noch durchstehbar. Dies trifft besonders für Perioden mit mediale Hypersensibilisierung auf die aktuelle Epidemie zu, wie dies etwa der britische Premier Johnson kürzlich feststellen musste. Erst nach einer langen, zermürbenden Quarantäneperiode kann es einen Meinungsumschwung zugunsten gelockerter oder gänzlich aufgehobener Quarantänemaßnahmen geben. Die in Folge zu beobachtenden Toten werden dann als Opfer des natürlichen Lebensrisikos angesehen.
Die in der folgende Tabelle angegebenen Zahlen stellen mangels einer soliden Datenbasis und der vermuteten hohen Dunkelziffer lediglich Grobabschätzungen dar und sollen dazu dienen, eine Vorstellung von der jeweiligen Größenordnung zu vermitteln.

  Strikte Quarantäne 50% Quarantäne keine Quarantäne
Beschreibung Wie sich in China gezeigt hat, kann bei entsprechend strikter Quarantäne die Weiterverbreitung des Covid-19-Virus beendet werden. Zurück bleibt eine Bevölkerung ohne Herdenimmunität. Erst eine Impfung kann eine Pandemie beenden. Eine gemäßigte Quarantäne verlängert die Dauer der ersten Infektionswelle, wobei mehrere Wellen auftreten können. Eine Pandemie wird durch Teilimmunität der Bevölkerung oder eine Impfung beendet. Ohne Quarantäne steigt die Anzahl der Infizierten rasant an bis Herdenimmunität erreicht wird und eine Weiterverbreitung des Covid-19-Virus nicht mehr möglich ist.
Dauer 21 – 42 Tage 75 – 730 Tage 21 – 35 Tage
Todesopfer 30 – 150 (kurzfristig) 2.000 – 10.000 (langfr.)[2] 10.000 – 30.000 (langfr.)[2]
Durchseuchung 0,03% – 0,1% 10% – 50% 50% – 80%
Wirtschaftliche Folgen Welthandel langfristig beeinträchtigt, Tourismus-, Beherbergungs- und Gastronomiebranche werden auf unabsehbare Zeit geschädigt, Rezession, Verarmung touristischer Regionen, Anstieg der Arbeits-losigkeit, hohe Staatsschulden, Wohnstandsverlust pro Quarantänewoche ca. 1,5% vom BIP bzw. 6 Mrd. € p.W., danach ca. 0,2% vom BIP p.W. bis zum Ende der Reisebeschränkungen Tourismus-, Beherbergungs- und Gastronomiebranche werden längerfristig geschädigt, Rezession, Verarmung touristischer Regionen, Anstieg der Arbeitslosigkeit, hohe Staatsschulden von >38 Mrd. €, Wohlstandsverlust pro Quarantänewoche ca. 1% vom BIP bzw. 4 Mrd. € p.W. Nur vorübergehende wirtschaftliche Beeinträchtigungen, die nach Abklingen der Infektionswelle rasch verschwinden (ähnlich wie nach einer massiven Grippewelle)
Gesellschaft-
liche Folgen
Internationale Reisetätigkeit, soziale Kontakte, Freizeitverhalten langfristig stark eingeschränkt, Misstrauen zwischen den Menschen – Homophobie Reisetätigkeit, soziale Kontakte, Freizeitverhalten auch nach dem Abklingen der Epidemie teilweise eingeschränkt Nach der Infektionswelle ist eine Rückkehr zum „normalen“ Leben möglich
Medizinische Folgen Sämtliche Einreisenden müssen sich einer 14-tägigen Quarantäne unterziehen um einen erneuten Ausbruch zu verhindern Bessere medizinische Versorgung während der Infektionswelle als ohne Quarantäne Um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden ist Triage nötig. Daraus resultiert temporär eine schlechtere medizinische Versorgung als unter Quarantäne
Psychosoziale Folgen Gefühl, im eigenen Land/Region eingesperrt zu sein, führt zu psychischen Belastungen/Störungen Hohe psychische Belastung wegen der langen Dauer der Quarantäne. Anstieg der Suizide, Überlastung der psychiatrischen Abteilungen  
Politische Folgen Abschottung gegen den Rest der Welt, Misstrauen zwischen den Staaten/Regionen, Verelendung gewisser Bevölkerungsschichten, erhöhte Spannungen, Unzufriedenheit und Unruhen Verelendung gewisser Bevölkerungsschichten, erhöhte Spannungen und Unruhen Relativ kurzfristige Rückkehr zur Normalität, Aufarbeitung entstandener Lateralschäden
Ökologische Folgen Massive längerfristige Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der klimaschädlichen Emissionen Temporäre Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der klimaschädlichen Emissionen  

Als Quintessenz zeigt sich, dass es mittels rigoroser Quarantäne zumindest auf kurze Sicht gelingt, die Anzahl der unmittelbaren Todesopfer sehr stark zu senken, während langfristig die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen erheblich sind[3].
Eine endgültige Beurteilung, welcher Weg nun eingeschlagen werden soll, ist jedoch wegen der vielen Unwägbarkeiten derzeit noch nicht möglich. Sollte die Dunkelziffer[4] tatsächlich so hoch sein, wie fallweise berichtet wird, dann kann es sinnvoll sein die Quarantäne schrittweise zu lockern und eine Durchseuchung der Bevölkerung bis zur Herdenimmunität zuzulassen.
Der von Österreich und anderen westlichen Staaten eingeschlagene Weg ist zwischen dem Szenario „Strikte Quarantäne“ und „50% Quarantäne“ angesiedelt[5]. Die kommenden Wochen werden zeigen, zu welchen Endpunkten, partielle Herdenimmunität oder regionales Auslöschen des Covid-19-Erregers, dieses Vorgehen führt.

[1] Im Westen stellen die meist jugendlichen Quarantänebrecher ein gewisses Problem dar, da diese die nötige Quarantänedauer verlängern, dadurch zu mehr Todesfällen beitragen bzw. im Extremfall den Erfolg der Quarantänemaßnahmen gänzlich vereiteln können. In Österreich kann von 10 – 20% der Bevölkerung ausgegangen werden, die sich den Quarantänemaßnahmen teilweise widersetzen.
[2] Zum Vergleich: Bei der beinahe jährlichen Grippewelle sterben in Österreich bis zu 6000 meist ältere Personen, ohne dass dies in den Medien oder der Gesellschaft eine besondere Beachtung findet. Mittlerweile (10/2020) hat die kurative Medizin dazu gelernt und es ist gelungen mit konventionellen Maßnahmen und vorhandenen Medikamenten die Letalität auf 0,1 – 0,2% der Fälle zu reduzieren. Voraussetzung dafür ist es, dass es zu keiner Überlastung des Gesundheitssystems kommt.
[3] https://www.statnews.com/2020/03/17/a-fiasco-in-the-making-as-the-coronavirus-pandemic-takes-hold-we-are-making-decisions-without-reliable-data/
[4] https://www.ihs.ac.at/publications-hub/blog/beitraege/infizierte-coronavirus/
[5] In Österreich existieren die folgenden Abstufungen von strenger Quarantäne zu moderateren Formen: Hospitalisierte Personen befinden sich in von der Außenwelt weitgehend abgeriegelten Intensivstationen bzw. Isolierstationen eines Krankenhauses, für positiv getestete Personen ohne oder mit leichten Symptomen gilt Heimquarantäne, für Personen die mit positiv Getesteten Kontakt hatten gilt ebenfalls Heimquarantäne, für diverse Orte, Regionen bzw. das Bundesland Tirol gilt eine temporäre Quarantäne mit auf den Wohnort eingeschränkter Bewegungsfreiheit, in Österreich gilt schließlich ein allgemeines Ausgehverbot, das jedoch aufgrund der diversen Ausnahmen von der Exekutive nur sehr lückenhaft überwacht werden kann.


Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie dort insbesonders Modellrechnungen und Kontroversen
https://ourworldindata.org/coronavirus
https://www.ecdc.europa.eu/en/2019-ncov-background-disease
https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/
https://www.ihs.ac.at/publications-hub/blog/beitraege/infizierte-coronavirus/