12.11.2020
In den letzten Wochen und Monaten, also kurz vor dem zweiten Lockdown, wurde sehr viel über die notwendigen und sinnvollen Maßnahmen zur Überwindung der Covid-19-Pandemie diskutiert. Bei vielen dieser detailverliebten Diskussionen war jedoch auffällig, dass es bei vielen Diskutanten an einem Grundverständnis zur Überwindung einer Epidemie mangelte.
Teils wurde
* vehement das klassisch-schulmedizinische Wissen präsentiert, teils
wurden
* die typischen, verschwörungstheoretischen Argumente, wie
– von den durch die PCR-Tests verursachten, unzähligen falsch positiven Fällen oder
– der nicht vorhandenen Übersterblichkeit bzw.
– der grippeähnlichen Mortalität, präsentiert. Schließlich wurde noch en vogue,
* die Existenz einer Pandemie gänzlich in Frage zu stellen und somit diese zu ignorieren.
Eine Erklärung, für die vielen an Covid-erkrankten und hospitalisierten Personen wurde jedoch von dieser letzten Gruppe nicht geliefert.
Um jedoch eine sinnvolle, von der Gesellschaft mitzutragende Strategie entwickeln zu können, ist es zwingend notwendig, eine grundsätzliche Vorstellung davon zu besitzen, auf welchen drei Wegen eine Epidemien bzw. auch eine Pandemie überwunden werden kann.
1. Auslöschung des Erregers durch Testen, contact tracing, Quarantäne, Hygiene
Ein Weg, der sich schon vielfach bewährt hat, man denke nur an SARS (2002) bzw. MERS (2012), besteht darin, erkrankte Personen durch spezifische Tests oder auch anhand der Symptome zu ermitteln, deren Kontaktpersonen auszuforschen und diese alle für eine gewisse Zeit unter Quarantäne zu stellen. Begleitend dazu sind im Umgang mit den Erkrankten bzw. mit möglicherweise erkrankten Personen gewisse Hygienemaßnahmen zu treffen. Außerdem wird der Bevölkerung von all jenen Verhaltensweisen abgeraten bzw. diese verboten, die das Risiko einer Ansteckung erhöhen, Stichwort „sozial distancing“, und Verhaltensweisen empfohlen bzw. aufgezwungen, die das Ansteckungsrisiko senken. Dieses Vorgehen, mit dem der Erreger gänzlich ausgelöscht werden soll, entspricht auch exakt dem, was jedem angehenden Mediziner im Fach Epidemiologie gelehrt wird.
Zu beachten ist jedoch, dass diese Vorgehensweise sich nicht für jeden Krankheitserreger gleich gut eignet. Ein Erreger, der
* bereits unter normalen Umweltbedingungen schnell abstirbt,
* sich nur schwer übertragen lässt, also wenig infektiös ist,
* unverwechselbare Symptome bei nahezu allen Infizierten hervorruft,
* bei dem die Inkubationszeit sehr kurz ist,
* die Symptome massiv und somit stark mobilitätseinschränkend auftreten
lässt sich auf diesem Wege leicht zum Verschwinden bringen.
Sehr viel schwieriger wird es bei einem hochinfektiösen Erreger, bei dem viele Infizierte einen asymptomatischen Verlauf aufweisen und sich die Symptome nicht von denen anderer, verbreiteter Infektionserkrankungen unterscheiden lassen. Leider trifft dies alles für den Covid-19-Erreger zu.
Daher sind zur Auslöschung des Covid-19-Erregers sehr rigide Maßnahmen erforderlich, die nur in einem diktatorischen Staat realisierbar sind.
In westlichen Demokratien kann durch die oben skizzierten Maßnahmen der Covid-19-Erreger daher nicht dauerhaft besiegt werden.
Einzig wenn es gelingt durch kostengünstige Schnelltests große Teile der Bevölkerung regelmäßig zu testen und jeden Eintrag von außen durch Tests und Quarantäne zu unterbinden, kann die Verbreitung des Erregers sehr stark eingeschränkt werden. Dabei ist auf den Schutz der vulnerablen Bevölkerungsschichten besonders zu achten. Dieses auf längere Sicht kaum zumutbare Vorgehen kann jedoch nur als Übergangslösung bis zur endgültigen Immunisierung der Bevölkerung angesehen werden.
2. Immunisierung der Bevölkerung durch Impfung
Wenn es, wie z.B. bei einer Pandemie, nicht mehr möglich ist einen Erreger zu eliminieren, dann bleiben nichts anderes mehr übrig als einen gewissen Teil der Bevölkerung gegen diesen Erreger zu immunisieren.
Dies kann auf natürlichen Wege beim Überstehen der von diesem Erreger verursachten Infektionserkrankung oder auf künstliche Weise, durch eine Impfung geschehen.
So eine Impfung stellt jedoch einen Eingriff in das sehr komplexe und bei jedem Individuum unterschiedlich vorgeformte Immunsystem dar.
Die Entwicklung eines neuen Impfstoffes stellt daher eine überaus anspruchsvolle Aufgabe dar, bei der stets die Chancen und Risiken dieser Impfung abzuwägen sind. Neben den dabei anfallenden enormen Kosten vergehen dafür, je nach Ausgangslage, mehrere Jahre. Eine Beschleunigung des Procedere ist jedoch u.U. bei entsprechend hoher Dringlichkeit möglich.
Eine Garantie dafür, dass ein hochwirksamer Impfstoff mit geringen Nebenwirkungen gefunden wird, gibt es nicht. Die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass nicht gegen jede Erkrankung eine Impfung entwickelt werden konnte, man denke nur an die meisten Krebserkrankungen bzw. an AIDS.
Summa summarum erscheint dieser Weg zur Überwindung einer Epidemie als riskant. Sich allein auf eine bald zur Verfügung stehende Impfung zu verlassen muss sogar als grob fahrlässig eingestuft werden.
3. Natürliche Immunisierung bzw. Herdenimmunität
Der dritte Weg, der der Menschheit bis heute das Überleben gesichert hat, besteht aus dem simplen Auskurieren einer Infektionskrankheit. Die dabei gebildeten Antikörper immunisieren den Genesenen und verhindern damit eine Neuinfektion mit dem gleichen Erreger. Besitzt ein zunehmender Teil der Bevölkerung aus einer bereits überstandenen Erkrankung diese Antikörper, dann schwindet der Nährboden zur Weiterverbreitung des krankheitsauslösenden Erregers. Dies führt zwangsläufig zum Abklingen der Epidemie, die Welle der Neuerkrankungen schwillt ab, die Bevölkerung bewegt sich in Richtung Herdenimmunität. Diese wird bereits dann erreicht, wenn ein Grossteil der potentiellen Superspreader nach überstandener Erkrankung immun geworden sind, während der Rest der Bevölkerung weiterhin auf Ansteckungsvermeidung achtet.
Auf diesen natürlichen Verlauf verlässt sich die Menschheit bei vielen Arten von Krankheitserregern, wie etwa auch im wesentlichen bei den Influenzaviren. Ein gewisser Prozentsatz an Todesfällen wird dabei bereitwillig in Kauf genommen, dazumal davon ohnehin hauptsächlich bereits stark vorgeschädigte, hochbetagte Personen betroffen sind. Dieser Vorgang wurde bisher als natürlicher Lauf des Lebens, als unausweichliches Lebensschicksal angesehen.
Problematisch wird dieser Weg, wenn es sich um eine Erkrankung handelt, die mit einer sehr hohen Mortalität, wie etwa der Pest[1] mit durchschnittlich 30% Todesopfern unter der Bevölkerung, einhergeht.
Auch beim Corona-Erreger wurde anfangs, aus der Beobachtung des Geschehenes in Oberitalien, von einer Mortalität ausgegangen, die erheblich über der von Grippeviren liegt.[2]
Sukzessive wurde jedoch deutlich, dass die Mortalität immer dann, wenn es gelingt den schwer Erkrankten eine adäquate medizinische Betreuung zukommen zu lassen, diese wesentlich gesenkt werden kann.
Würde man daher die Corona-Erkrankung ungebremst über die Bevölkerung schwappen lassen, käme dies einem Genozid an den betagten Personen unsere Gesellschaft gleich.
Es ist daher bei der Covid-19-Pandemie aus moralischer Sicht zwingend nötig, die Krankheitsausbreitung, abhängig von den Kapazitäten im Gesundheitssystem, moderat zu bremsen – Stichwort „flatten the curve“[3]. Gelingt es dabei die Auslastung des Gesundheitssystems hoch zu halten, wird in den meisten westlichen Staaten nach 2 – 3 Monaten eine Durchseuchungsrate von über 30% und somit eine partielle Herdenimmunität[4] erreicht. Damit hat die Bevölkerung, die sich diesem altbewährten Weg anvertraut hat, die Pandemie überstanden und das soziale Leben kann wieder in natürlichen Bahnen fortgesetzt werden.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzer_Tod
[2] https://www.derstandard.at/story/2000121081090/sterblichkeitsstudie-wie-toedlich-ist-das-coronavirus
[3] Das ist auch der Grund warum in allen Ländern auf unserem Globus verschiedenste Maßnahmen ergriffen wurden, um diese Welle zu bremsen.
[4] Die Herdenimmunität hängt unmittelbar mit der Basisreproduktionszahl R0 zusammen und wird für Covid-19 mit 60 – 70% angegeben. Sie stellt jedoch keine Konstante dar und kann durch entsprechende Verhaltensänderungen (Verzicht auf Hände schütteln bzw. Begrüßungsküsse, häufiges Hände waschen bzw. desinfizieren, tragen von Schutzmasken, Abstand halten, Sozialkontakte u. Mobilität einschränken, etc.) deutlich reduziert werden. Bereits wenn ein Großteil der potentiellen Superspreader immun sind stellt sich Herdenimmunität ein.
[5] Je nach Dunkelziffer waren im Juni 2020 nur 0,6% bis 2,1% der Bevölkerung gegen das Corona-Virus immun