Corona-Pandemie und Grundrechte

13.04.2020

Dass die Gedanken von Juristen für viele Nichtjuristen nur schwer nachvollziehbar sind, ist bekannt. Nicht umsonst existieren eine ganze Reihe von Richterwitzen, die gerade darauf beruhen. Nur zu oft führt das konsequente Anwenden von bestehenden Gesetzen unter Ausnützung deren Lücken zu Resultaten, die jeden, mit einem normale Gerechtigkeitsempfinden ausgestatteten Menschen, vor den Kopf stoßen. Auch wenn man für Verschwörungstheorien nicht sehr empfänglich sein mag, so entsteht doch bei manchem der Eindruck, dass diese Lücken nicht rein zufällig existieren. Immerhin beruht das Geschäftsmodell eines ganzen Berufsstandes, nämlich den der Rechtsanwälte, darauf, die damit erst befähigt werden ihre wohlbetuchte Klientel vor den Folgen diverser Gesetzesverstöße zu bewahren oder ihnen zweifelhafte Vorteile zu verschaffen[1]. Trotz all dieser immanenten Unzulänglichkeiten und insbesonders beim Vergleich mit anderen Ländern schätzen wir unseren demokratisch geprägten Rechtsstaat.

In Zusammenhang mit der Cocid-19-Krise tut sich allerdings ein weiterer Abgrund auf, indem diverse Rechtsvertreter oder auch gewisse ideologisch vorbelastete Gruppen auf die pedantische Einhaltung der demokratischen Grundrechte, wie etwa des Versammlungsrechtes oder des Grundrechtes auf Privatsphäre und Datenschutz, pochen.
So kommen etwa unsere Verwaltungsrichter zur Erkenntnis, dass eine Pflicht-Tracking-App zur Corona-Kontrolle ein „unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte auf Datenschutz und Freiheit“ wäre. Sie appellieren an die Regierung, bei ihren Maßnahmen „die Grundsätze des Rechtsstaats nicht außer Kraft zu setzen“ und Verhältnismäßigkeit zu wahren.[2]
Während sämtliche Nationen auf dem schmalen Grad zwischen einem Massensterben der Alten, möglicherweise verstärkt durch eine Überlastung der Gesundheitssysteme und dem Sturz in den sozioökonomischen Abgrund balancieren, ohne dass der Ausgang dieses Experiments derzeit auch nur ansatzweise absehbar ist, sind solche unqualifizierten Zwischenrufe so notwendig wie ein Kropf. Als klar unqualifiziert, dafür möglicherweise ideologisch motiviert, sind solche Zwischenrufe darum einzustufen, da sie nicht auf der Einschätzung von Fachexperten sondern bestenfalls auf rein juristischer Expertise beruhen.
Selbstverständlich geht Gesundheit vor Datenschutz und das Recht auf Leben steht über dem Recht auf Privatsphäre. Genauso versteht sich von selbst, dass in einem Rechtsstaat unserer Prägung nur das gelindeste, zum Ziel führende Mittel und nur für die dafür notwendige Dauer zum Einsatz kommen darf.[3] Die Beurteilung der Zweck- und Verhältnismäßigkeit obliegt jedoch niemals den Juristen alleine sondern ist stets nur auf Basis der diversen Gutachten von Fachleute aus allen betroffenen Bereichen zulässig. Ergo muss die oben angesprochene juristische Beurteilung einer möglichen Einzelmaßnahme als völlig absurd Entgleisung verstanden werden.

Würde sich etwa im weiteren Verlauf der Corona-Krise gerade die lückenlose, elektronische Überwachung der gesamten Bevölkerung als conditio sine qua non zur deren raschen Bewältigung herauskristallisieren, müssten sich genau diese Richter den Vorwurf gefallen lassen, für zahlreiche vermeidbare Todesfälle und einen gigantischen Schuldenberg zumindest moralisch mitverantwortlich sein. Von eine tatsächlichen Haftung dafür gehe ich als gelernter Österreicher jedenfalls nicht aus. Das ist auch der Grund, warum viele, aus einer gewissen ideologischen Ecke stammende Realitätsverweigerer so leichtfertig ihre Meinung lautstark kundtun. Die Konsequenzen aus den geäußerten Forderungen haben nämlich im Regelfall andere zu tragen.
Um es jenen, die die Grundrechte für scheinbar so viel wichtiger als die eigene Gesundheit halten, nicht allzu leicht zu machen, schlage ich deshalb vor, dass sie mittels Patientenverfügung auf künstliche Beatmung und intensivmedizinische Betreuung im Fall der Fälle verzichten. So nehmen Sie zumindest all den anderen keinen Platz weg, falls es aufgrund zu grundrechtsfreundlicher Maßnahmen zu einer neuerlichen Ausbreitungswelle mit Überlastung des Gesundheitssystems kommen sollte.
Das Virus unterscheidet weder zwischen Ethnien noch zwischen politischen Systemen und deren inherenten Werten. Auch wenn wir mit den Werten der chinesischen Pseudodemokratie bestimmt nicht viel anfangen können, so waren es bislang einzig die Chinesen, die der Welt eindrucksvoll demonstriert haben, mit welchen Maßnahmen die Corona-Epidemie so rasch als möglich eingedämmt werden kann. Vielleicht handelt es sich auch nur um einen Teilerfolg, da niemand mit der fortan notwendigen sozialen Distanzierung und der eingeschränkten Reisefreiheit auf Dauer leben will. Vielleicht kann uns auch mangels hochwirksamer Medikamente oder ohne einer Impfung letztlich nur Herdenimmunität aus der Coronakrise zur Normalität führen. Egal für welchen Weg wir uns entscheiden, wir müssen diesen konsequent und nicht halbherzig beschreiten und bei einer sich ändernden Sachlage auch entsprechend entschlossen darauf reagieren. Da wir uns nunmal für den chinesischen Weg entschieden haben sollten wir auch die notwendigen Maßnahmen so weit als möglich übernehmen, selbst wenn dies für westliche Demokratien gewöhnungsbedürftig sein mag. Jedoch noch wesentlich schmerzhafter, mit unabsehbaren Langzeitfolgen, verliefe ein fehlgeschlagenes Experiment mit einem Mix aus westlichen Grundwerten und freiwilliger sozialer Distanzierung. Immerhin wurde bereits unmittelbar nach dem Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen im März 2020 offenkundig, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung, meist aus der Schicht der Teenager und Twens, der Immigranten und zugezogener Ethnien, sich nicht solidarisch zeigt und sie nicht bereit sind ihr Verhalten entsprechend anzupassen. Hierbei offenbart sich wieder einmal der rein egoistische Charakter des Menschen, der verantwortungsvolles, solidarisches Verhalten nur unter Zwang oder mit entsprechenden Belohnungen zulässt.

Wenn so viel wie derzeit am Spiel steht ist nicht die Zeit um Zauberlehrling zu spielen. Erst wenn es uns gelungen ist dem Coronavirus eine endgültige Niederlage zuzufügen, eröffnet sich wieder der Raum darüber nachzudenken, welche Grundrechte wir uns als Menschheit in Zukunft erlauben werden können.


[1] https://justiz-und-recht.de/die-strategien-der-rechtsunsicherheit-teil-1-auftakt-und-die-drei-strategien/   dort besonders Teil 18: Cui bono?

[2] https://www.derstandard.at/story/2000116805190/vfgh-richter-app-pflicht-waere-unverhaeltnismaessiger-eingriff-in-grundrechte

[3] https://science.apa.at/site/natur_und_technik/detail?key=SCI_20200331_SCI39491352053977000